Klimacamp-Blog (68): Der klimaneutrale Weinhändler

Klimaneutral zu werden, liegt gerade voll im Trend. Aber was genau bedeutet es, wenn ein Land, eine Stadt oder ein Unternehmen klimaneutral werden will? Wir haben uns ein Vorreiterunternehmen aus der Region angeschaut und Spannendes zu berichten.

Erst einmal zum Begriff „klimaneutral“: Er bedeutet, dass sich durch das Land, die Stadt oder den Betrieb die Treibhausgase in der Atmosphäre insgesamt nicht erhöhen. Das bedeutet nicht automatisch „emissionsfrei“, denn es werden nach wie vor Emissionen ausgestoßen. Stattdessen werden die ausgestoßenen Tonnen CO2-Äquivalente kompensiert, indem in Klimaschutzmaßnahmen investiert wird, die Emissionen binden sollen. Wenn ein Unternehmen klimaneutral ist, heißt es also nicht automatisch, dass die Firma keine fossilen Energien mehr nutzt, sondern dass sie diese entsprechend kompensieren.

Wie viel im Betrieb selbst in Klimaschutz investiert wird, bleibt dem Unternehmen selbst überlassen. Es kann also verlockend sein, nur wenig aktiv in den Klimaschutz vor Ort zu investieren, stattdessen Kompensation zu zahlen und sich dennoch „klimaneutral“ auf die Kappe zu schreiben. Das Problem dabei: Die Ausgleichszahlungen unterliegen teilweise strukturellen Problemen, wie zum Beispiel, dass die Projekte nur auf kurze Zeit ausgelegt sind, dass gepflanzte Bäume wieder gerodet werdet und so weiter. Nur seine eigenen Emissionen zu kompensieren, ohne zu versuchen, sie so weit wie möglich zu reduzieren, ist daher keine nachhaltige Lösung.

Es geht auch anders

Idealerweise bedeutet klimaneutral, dass man nahezu emissionsfrei ist und den sehr geringen unvermeidbaren Restsockel an Emissionen durch natürliche CO2-Senken möglichst in der Nähe, etwa im gleichen Landkreis, wieder ausgleicht.

Wir waren neulich beim größten Bioweinhändler Deutschlands, um zu erfahren, wie nachhaltiges Wirtschaften in der Praxis aussehen kann. Die Wurzeln des Unternehmens Peter Riegel Weinimport GmbH in Orsingen (Umsatz: rund 54 Millionen Euro durch den Verkauf von derzeit etwa 20 Millionen Flaschen Wein) reichen rund 40 Jahre zurück nach Konstanz, wo Peter Riegel als Student zusammen mit anderen in der Niederburg einen alternativen Laden unterhielt, der Wolle, Tee und Recyclingpapier vertrieb.

So viel vorweg: Das Unternehmen ist seit 2020 entsprechend der Labelrichtlinien der myclimate gGmbH ein „klimaneutraler Betrieb“, ist aber seit seiner Gründung darauf ausgelegt, Nachhaltigkeit ganzheitlich zu denken. Das wurde bei unserem Besuch und in den Gesprächen mit dem Firmengründer und dem Leiter der Riegel-Logistik, Dieter Hallenbach, deutlich: Das Unternehmen handelt nicht nur ausschließlich mit Bioweine aus Landwirtschaftsbetrieben, die zur Biodiversität beitragen; es hat auch auf den Betriebsdächern PV-Solar-Anlagen installiert und diese zum Schutz der Artenvielfalt begrünt – und legt dazu noch Wert auf den sozialen Aspekt. So kochen im Betrieb in Orsingen beispielsweise mittwochs immer eine zufällig ausgeloste Gruppe an Mitarbeiter:innen jeweils verschiedener Abteilungen für alle. Auf diese Weise lernen sich die rund hundert Beschäftigten, die im Arbeitsalltag nicht viel miteinander zu tun haben, besser kennen.

Zudem sind Riegel transparente Lieferketten wichtig (es hat das „We care“-Siegel für nachhaltiges Unternehmens- und Lieferkettenmanagement), fördert seit bald 20 Jahren verschiedenste Projekte in Südafrika wie etwa „Soil for life“ und gründete 2011 den gemeinnützigen Verein Good Grapes for a Better Life (siehe auch die seemoz-Serie „Die Provinz lebt“). Kurzum: Die Firma lebt die Zukunft, in der Klimaschutz Normalität ist, schon seit Jahren.

Nicht nur kompensieren, sondern das System verändern!

Um ein Unternehmen nachhaltiger zu gestalten, ist es ein logischer erster Schritt, erstmal im eigenen Betrieb anzufangen und die Emissionen dort zu reduzieren. Hier einige Punkte, an denen angesetzt werden kann:

  • Strom aus erneuerbaren Energien nutzen, am besten direkt vom Dach. Das Unternehmen Riegel verwendet rund ein Drittel seines produzierten Stroms selbst und speist den Rest ins Netz ein (siehe Bild oben).
  • Wärme aus erneuerbaren Energien einsetzen – beispielsweise durch Wärmepumpen, die mit erneuerbarem Strom betrieben werden. Riegel nutzt 100 Prozent Biogas von der Firma Thüga in Singen, das von der BRV Biologische Reststoff-Verwertung aus Kißlegg stammt. Das Biogas wird aus Pflanzenresten und Essensabfällen gewonnen – unter anderem auch aus Essensresten von Riegel selbst. Hier wird das Denken in Kreisläufen deutlich, was uns beim Besuch in dem Unternehmen immer wieder aufgefallen ist. Was dem BRV-Unternehmen zugutegehalten werden kann, ist, dass sie ihr Biogas nur aus Abfällen gewinnen und nicht durch extra dafür angebaute Maisfelder, was eine Verschwendung von Fläche wäre und nachweislich zu einer Abnahme der Bodenfruchtbarkeit und beschleunigter Bodenerosion führen würde. Vom Herbizideinsatz ganz zu schweigen.
  • Den Ressourcenverbrauch minimieren. Die Riegels (inzwischen haben Peter Riegels Söhne Felix und Florian die Geschäftsleitung übernommen) , indem die Dicke der Verpackungsfolie minimiert wird und regenwaldschonendes Recyclingpapier genutzt wird, wo nicht komplett auf Papier verzichtet werden kann. Auch Paletten aus 80 Prozent Recycling-Pappe statt Holz sparen Gewicht und haben eine bessere CO2-Bilanz.
  • Die Fahrzeuge nicht mit fossilen Energien betreiben. Stattdessen Elektrofahrzeuge mit erneuerbarem Strom aus der eigenen PV-Anlage nutzen. Oder, wie Riegel das tut, en eigenen Fuhrpark mit pflanzenrestbasierten „C.A.R.E Diesel“ betanken, der vor allem aus altem Frittieröl gewonnen wird.
  • Möglichst wenig Fläche versiegeln, Dächer begrünen, Steilhänge bepflanzen.

Das Verpackungsproblem

Auch bei den Weinflaschen selbst kann viel eingespart werden. Die Produktion einer Glasflasche Wein verursacht von der Bepflanzung bis zum Endprodukt durchschnittlich 0,839 kg CO2-Äquivalente. Fast die Hälfte dieser Emissionen (47 Prozent) entstehen durch die Glasflaschen, dicht gefolgt von Energie (10 Prozent), wie eine Untersuchung ergab.

Mehrweg-Glasflaschen dienen der Umwelt. Riegel setzt seit 1993 Mehrweg-1-Liter-Flaschen ein, im Jahr 2020 machte der in Mehrwegflaschen verkaufte Wein etwa 12 Prozent der Gesamtmenge aus (eine 0,75-Liter-Mehrwegflasche ist übrigens noch nicht auf dem Markt). Wenn diese Mehrwegflaschen vier Mal befüllt werden, sparen sie knapp 40 Prozent der CO2-Emissionen einer herkömmlichen 0,75-Liter Flasche ein (Studie Universität Gießen, 2009, 2018). Mehrweg-Glasflaschen sind also eine gute Sache. Allerdings ist ihr Einsatz mit großem Aufwand verbunden (man muss sie wieder einsammeln, lagern, reinigen, usw.). Daher bieten nur wenige Weinhandelsfirma Mehrweg-Glasflaschen an.

Eine Alternative dazu wären Einweg-Getränkekartons. Vor zwei Jahren führte Riegel einen (seit 2021 in Hürth bei Köln vollständig recycelbaren) 1-Liter-Getränkekarton ein. Der ist aus Klimaschutzsicht noch besser als Mehrweg-Glasflaschen, denn er spart rund 80 Prozent der Emissionen einer 0,75-Liter-Einweg-Glasflasche ein – also noch mehr als die Mehrweg-Glasflaschen. Das liegt hauptsächlich daran, dass Glas mehr Energie in der Produktion benötigt und schwerer ist als Karton, beim Transport mithin mehr Kraftstoff benötigt.

Wein aus Getränkekartons wäre somit also aus Klimaschutzsicht die beste Option: Das Probleme der teuren Lagerhaltung und der aufwändigen Rückgewinnungsprozesse von Mehrwegsystemen fällt weg. Aber: Niemand will hochwertigen Wein in Getränkekartons kaufen; schließlich macht das nichts her im Vergleich zu edlen Glasflaschen. Da kann er noch so gut fürs Klima sein.

An dieser Stelle wird die Verantwortung von uns Konsument:innen deutlich (und auch die Abhängigkeit der Unternehmen vom Markt). Also wie wär‘s? Beim nächsten schicken Anlass einfach mal Bio-Tetrapackwein auf den Tisch stellen? Sich erst über die verdutzten Gesichter freuen – und danach über Verpackungsmaterialien diskutieren?

Kein Leertransport

Die zweite große Herausforderung ist der Transport. Den eigenen Fuhrpark betreibt Riegel mit Treibstoff aus Pflanzenresten. Auf die Kooperationspartner wie Zulieferer hat ein Unternehmen allerdings keinen direkten Einfluss und auch oft keinen Einblick in deren Bemühungen. Hier wird es spannend. Denn mit einer gewissen Marktstellung kann ein Betrieb andere Firmen durchaus beeinflussen – indem er von diesen Klima- und Umweltschutzmaßnahmen als Voraussetzung für die Kooperation erwartet. Das ist aufwändig, denn man muss aktiv mit anderen ins Gespräch kommen. Aber die Wirkung kann enorm sein.

Dass es sinnvoll ist, sich zu vernetzen und bestehende Strukturen zu nutzen, zeigen auch die Weinlieferungen von Orsingen nach Konstanz. Diese nimmt beispielsweise der Biogas-LKW des Fruchthofs Konstanz vor – und zwar immer dann, wenn er gerade nach einer Auslieferung sowieso zurück nach Konstanz muss.

Über den Glasrand hinausschauen

Investitionen in Klimaschutz sind teuer. Aktiengesellschaften zum Beispiel, die kurzfristig wirtschaften und ihren Aktionär:innen jedes Quartal neue Gewinnzahlen vorlegen müssen, sehen darin keinen wirtschaftlichen Vorteil. Firmen (wie etwa Familienunternehmen) hingegen profitieren davon, wenn sie ihre Wirtschaftlichkeit in größeren Zeiträumen betrachten und die Freiheit haben, über den Tellerrand (oder in diesem Fall den Glasrand) schauen zu können. In ein paar Jahren, wenn Umweltschäden realistisch bepreist werden, lohnen sich die Investitionen von heute.

Text: Corinna Zürn von der Klimacamp-Redaktion
Fotos Paletten und Weinkarton: © Corinna Zürn. Übrige: © Peter Riegel Weinimport GmbH

Und hier noch das Camp-Programm für diese Woche:
Dienstag, 21. Juni, 17 Uhr: Camp-Plenum / 18 Uhr: FFF-Plenum
Mittwoch, 22. Juni, 19 Uhr: Spieleabend
Donnerstag, 23. Juni, 19:30 Uhr: Jam-Session
Alle sind herzlich willkommen!

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(68) Was der Deutschlandfunk berichtet
(66) Weniger ist mehr
(65) Können Klimabewegungen und Gewerkschaften zusammen Ziele erreichen?
(64) Zwei Stunden pro Woche für das Camp!
(63) Was will die „letzte Generation“?
(62) CETA oder Klima
(61) Klima-Bahn oder Betonbahn?
(60) Gasausstieg in Konstanz – ein Übersichtsartikel
(59) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil III
(58) Atomstrom ist keine Lösung
(57) Orchideen und die Klimakrise
(56) Wer ist „wir“?
(55) Aufstand der letzten Generation – auch in Konstanz
(54) Klimadebatte in Konstanz: Fakten oder Meinung?
(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht